Meinungsäußerung…
…. auf einem brandneuen Schild am
Rand des Entwicklungs-Naturschutzgebietes
Brühlwegdüne.
Als Naturschutzwart und
Naturwissenschaftler
bin ich erst einmal etwas angefressen, als ich diese
Worte auf dem Schild lese.
Beim anschließenden Spaziergang
durch das Gebiet kann ich dann doch etwas besser
verstehen, was den Schreiber
oder die Schreiberin zu diesem Kommentar veranlasst
hat.
Das
Entwicklungs-Naturschutzgebiet
Brühlwegdüne wurde am 15. September 2020 durch die
Unterschrift der
Regierungspräsidentin Sylvia M. Felder offiziell
eingerichtet. Dem gingen
langjährige Planungen voraus, und das NSG hat
gewissermaßen einen langen Streit
um den Rückbau der L600 nördlich von Sandhausen
beendet.
Wald ist den Deutschen fast so
heilig wie das Auto, fällt mir als Erstes ein – der
Inbegriff von Natur (der
Wald, nicht das Auto). Nicht erst seit Corona kann
man erleben, dass der Wald
vielfältig genutzt wird: von Spaziergängern,
Joggern, Mountainbikern, Reitern,
Hundebesitzern, und auch Jäger werden hier
gelegentlich beobachtet. Große
Aufregung wenn Bäume gefällt werden, und dann auch
noch für ein
Naturschutzgebiet?
Wald wird also mit Natur
assoziiert, obschon bei uns praktisch keine
natürlichen Wälder vorkommen,
sondern nur wirtschaftlich genutzte Forste. Bäume
werden genutzt, und das auch,
wenn kein Naturschutzgebiet geplant ist. Wälder
werden zu verschiedenen Zwecken
genutzt und benutzt – und wenn der Mensch hier etwas
nutzt, ist es in der Regel
nichts Natürliches. In unseren Wäldern leben zwar
noch einige wenige
Säugetierarten, manche tun das nur, weil sie bejagt
werden sollen. Ein
natürliches Ökosystem hingegen ist schon lange
verloren gegangen, denn in
Waldlandschaften würden normalerweise verschiedene
Großsäuger und ihre
Prädatoren vorkommen: Auerochsen, Wisente, Hirsche,
Wölfe, Bären, Luchse. Diese
Art von Natur ist schon seit vielen Jahrhunderten
nicht mehr mit dem Menschen
kompatibel. Bleiben bei den Wildtieren noch die
Vögel, die ja nach allgemeiner
Auffassung in den Wald gehören. Tatsächlich kommen
viele Vogelarten auch mit
unseren Wirtschaftswäldern zurecht, aber die
Artenvielfalt ist auch hier eher
überschaubar. Und genau betrachtet ist auch die
Artenvielfalt der Gehölze in
den Waldgebieten nördlich der Alpen nach der letzten
Eiszeit überschaubar
geblieben. In Nordamerika gibt es mehr Eichenarten
als in Mitteleuropa
Baumarten insgesamt.
In und um Sandhausen gibt es
jedoch
seit jeher Dünenlandschaften, die erstaunlicherweise
zu den vielfältigsten und
artenreichsten Lebensräumen gehören, über die unser
Land verfügt. Populär waren
sie nie, denn die Faszination erschließt sich erst
bei genauer Betrachtung, und
die Steppenrasen bieten dem auf wirtschaftliche
Nutzung bedachten Menschen
zunächst einmal wenig.
Aber um genau diesen Lebensraum
geht es beim NSG Brühlwegdüne. Große Teile der einst
ausgedehnten
Sandlandschaften sind inzwischen verloren gegangen,
überbaut, von den Wäldern
der sogenannten Hardtplatten bedeckt,
landwirtschaftlich genutzt oder in
Straßen umgewandelt. Das wertvollste
Naturschutzgebiet in Sandhausen, die
Pferdstriebdüne, ist mittlerweile vom Ort nahezu
komplette umwachsen.
Auf Sand-Steppenrasen kommen
nicht
nur zahlreiche seltene Pflanzen vor, hier siedeln
sich auch in großer Vielfalt
Wildbienen und Grabwespen sowie viele andere
Insekten an. Einige unserer
seltensten Vogelarten fühlen sich in lichten Wäldern
mit offenen Sandflächen
besonders wohl, so die Heidelerche, der
Gartenrotschwanz, der Wendehals, der
Wiedehopf und der Ziegenmelker.
Natürlich wird hier der Wald
nicht
auf einen Schlag komplett entfernt. Tatsächlich wird
es eine Transformation in
eine vielfältige Landschaft mit offenen Bereichen
und lichten Kiefernwäldern
sein, für die man mindestens zwei Jahrzehnte
veranschlagt hat.
Es mag befremdlich erscheinen,
wenn
man nicht etwas schützt, was schon vorhanden ist,
sondern eine vorhandene
Fläche mit den geologischen Voraussetzungen
aufwändig in ein wertvolleres
Gebiet verwandeln möchte. Tatsächlich ist es aber
ein wichtiger Schritt in
Richtung eines anderen Umgangs mit der lebenden
Umwelt.
Ferner wird dadurch auch
geltendes
EU-Recht umgesetzt, denn Baden-Württemberg verfügt
zum Glück noch über
Naturschätze, die als so wichtig erachtet werden,
dass das Land eine besondere
Verantwortung dafür hat. Ein Beispiel ist die Graue
Skabiose (Scabioa
canescens), die in unseren
Naturschutzgebieten vorkommt, und deren Lebensraum
sich dadurch erweitern
lässt. Daneben sind besonders die Wildbienen von
großer Bedeutung – ein großer
Teil der in Deutschland vorkommenden Wildbienen
nistet in selbstgegrabenen
Höhlen in Sandboden.
Der Spaziergang an diesem
Oktobertag kurz nach der Einweihung des NSG führt
mich auch in Bereiche, in
denen tatsächlich schon schwere Maschinen unterwegs
waren. Dort sieht es wüst
aus, und natürlich sind auch Bäume gefallen, die
bereits ein beträchtliches Alter
hatten. Das tut dem Besucher des Waldes weh, und
auch ich sehe es immer mit
Wehmut, wenn große alte Bäume gefällt werden.
Gleichzeitig kann man aber auch
deutlich sehen, dass an vielen Stellen die Kiefern
schon sehr vereinzelt stehen
und sich in einem schlechten Zustand befinden.
Darunter findet sich bisweilen
nur strauchartiges Unterholz.
Der Naturschutzwart würde sich an
manchen Stellen eine andere Vorgehensweise wünschen:
Identifikation wertvoller
Bäume (Eichen, Rotbuchen), die dann behutsam
freigestellt werden, um nicht im
nächsten heißen Sommer durch zu viel Sonne im
Mitleidenschaft gezogen zu werden;
gezielteres Entfernen von Bäumen, die nicht zur
mitteleuropäischen Flora
gehören, z.B. Roteichen und Robinien. Am östlichen
Abfall zu den Schrebergärten
sollten die Bäume eigentlich stehen bleiben, gerade
dort stehen auch die
interessanteren alten Exemplare. Bei dem Erhalt
eines lichten Kiefernwaldes
sind Zweifel erlaubt. Die Kiefern sind in keinem
guten Zustand, und genau
genommen gehören auch Kiefern nicht zur typischen
natürlichen Vegetation auf
Sandrasen. – Das Konzept der artenreichen lichten
Kiefernwälder bringt zwar
sogenannte Ökopunkte, doch der Klimawandel lässt den
Kiefern auf den trockenen
Sandrasen kaum eine Chance.
Die ersten Erfolge auf den
Versuchsflächen des NABU Projektes Lebensader
Oberrhein in der Schwetzinger
Hardt zeigen auf, dass es tatsächlich in kurzer Zeit
möglich ist, neue offene
Sandflächen mit großem Artenreichtum zu schaffen.
Für Interessenten sei die
folgende
Publikation empfohlen:
Weiser,
P. (2020): Erfolge des Projektes Lebensader
Oberrhein
in der Schwetzinger Hardt: Floristische und
faunistische Beobachtungen am
Saupferchbuckel und Franzosenbusch. –
Carolinea 78:135-158
Auf diesen Seiten wird in der
Zukunft auf jeden Fall über den Fortgang der
Entwicklung auf der
Brühlwegdüne berichtet werden.