Neues NSG Brühlwegdüne


Schild
                    Brühlwegdüne Foto 31.10.2020

Meinungsäußerung…

…. auf einem brandneuen Schild am Rand des Entwicklungs-Naturschutzgebietes Brühlwegdüne.

 

Als Naturschutzwart und Naturwissenschaftler bin ich erst einmal etwas angefressen, als ich diese Worte auf dem Schild lese.

Beim anschließenden Spaziergang durch das Gebiet kann ich dann doch etwas besser verstehen, was den Schreiber oder die Schreiberin zu diesem Kommentar veranlasst hat.

 

Das Entwicklungs-Naturschutzgebiet Brühlwegdüne wurde am 15. September 2020 durch die Unterschrift der Regierungspräsidentin Sylvia M. Felder offiziell eingerichtet. Dem gingen langjährige Planungen voraus, und das NSG hat gewissermaßen einen langen Streit um den Rückbau der L600 nördlich von Sandhausen beendet.

 

Wald ist den Deutschen fast so heilig wie das Auto, fällt mir als Erstes ein – der Inbegriff von Natur (der Wald, nicht das Auto). Nicht erst seit Corona kann man erleben, dass der Wald vielfältig genutzt wird: von Spaziergängern, Joggern, Mountainbikern, Reitern, Hundebesitzern, und auch Jäger werden hier gelegentlich beobachtet. Große Aufregung wenn Bäume gefällt werden, und dann auch noch für ein Naturschutzgebiet? 

 

Wald wird also mit Natur assoziiert, obschon bei uns praktisch keine natürlichen Wälder vorkommen, sondern nur wirtschaftlich genutzte Forste. Bäume werden genutzt, und das auch, wenn kein Naturschutzgebiet geplant ist. Wälder werden zu verschiedenen Zwecken genutzt und benutzt – und wenn der Mensch hier etwas nutzt, ist es in der Regel nichts Natürliches. In unseren Wäldern leben zwar noch einige wenige Säugetierarten, manche tun das nur, weil sie bejagt werden sollen. Ein natürliches Ökosystem hingegen ist schon lange verloren gegangen, denn in Waldlandschaften würden normalerweise verschiedene Großsäuger und ihre Prädatoren vorkommen: Auerochsen, Wisente, Hirsche, Wölfe, Bären, Luchse. Diese Art von Natur ist schon seit vielen Jahrhunderten nicht mehr mit dem Menschen kompatibel. Bleiben bei den Wildtieren noch die Vögel, die ja nach allgemeiner Auffassung in den Wald gehören. Tatsächlich kommen viele Vogelarten auch mit unseren Wirtschaftswäldern zurecht, aber die Artenvielfalt ist auch hier eher überschaubar. Und genau betrachtet ist auch die Artenvielfalt der Gehölze in den Waldgebieten nördlich der Alpen nach der letzten Eiszeit überschaubar geblieben. In Nordamerika gibt es mehr Eichenarten als in Mitteleuropa Baumarten insgesamt.

 

In und um Sandhausen gibt es jedoch seit jeher Dünenlandschaften, die erstaunlicherweise zu den vielfältigsten und artenreichsten Lebensräumen gehören, über die unser Land verfügt. Populär waren sie nie, denn die Faszination erschließt sich erst bei genauer Betrachtung, und die Steppenrasen bieten dem auf wirtschaftliche Nutzung bedachten Menschen zunächst einmal wenig.

 

Aber um genau diesen Lebensraum geht es beim NSG Brühlwegdüne. Große Teile der einst ausgedehnten Sandlandschaften sind inzwischen verloren gegangen, überbaut, von den Wäldern der sogenannten Hardtplatten bedeckt, landwirtschaftlich genutzt oder in Straßen umgewandelt. Das wertvollste Naturschutzgebiet in Sandhausen, die Pferdstriebdüne, ist mittlerweile vom Ort nahezu komplette umwachsen.

Auf Sand-Steppenrasen kommen nicht nur zahlreiche seltene Pflanzen vor, hier siedeln sich auch in großer Vielfalt Wildbienen und Grabwespen sowie viele andere Insekten an. Einige unserer seltensten Vogelarten fühlen sich in lichten Wäldern mit offenen Sandflächen besonders wohl, so die Heidelerche, der Gartenrotschwanz, der Wendehals, der Wiedehopf und der Ziegenmelker.

 

Natürlich wird hier der Wald nicht auf einen Schlag komplett entfernt. Tatsächlich wird es eine Transformation in eine vielfältige Landschaft mit offenen Bereichen und lichten Kiefernwäldern sein, für die man mindestens zwei Jahrzehnte veranschlagt hat.

 

Es mag befremdlich erscheinen, wenn man nicht etwas schützt, was schon vorhanden ist, sondern eine vorhandene Fläche mit den geologischen Voraussetzungen aufwändig in ein wertvolleres Gebiet verwandeln möchte. Tatsächlich ist es aber ein wichtiger Schritt in Richtung eines anderen Umgangs mit der lebenden Umwelt.

 

Ferner wird dadurch auch geltendes EU-Recht umgesetzt, denn Baden-Württemberg verfügt zum Glück noch über Naturschätze, die als so wichtig erachtet werden, dass das Land eine besondere Verantwortung dafür hat. Ein Beispiel ist die Graue Skabiose (Scabioa canescens), die in unseren Naturschutzgebieten vorkommt, und deren Lebensraum sich dadurch erweitern lässt. Daneben sind besonders die Wildbienen von großer Bedeutung – ein großer Teil der in Deutschland vorkommenden Wildbienen nistet in selbstgegrabenen Höhlen in Sandboden.

 

Der Spaziergang an diesem Oktobertag kurz nach der Einweihung des NSG führt mich auch in Bereiche, in denen tatsächlich schon schwere Maschinen unterwegs waren. Dort sieht es wüst aus, und natürlich sind auch Bäume gefallen, die bereits ein beträchtliches Alter hatten. Das tut dem Besucher des Waldes weh, und auch ich sehe es immer mit Wehmut, wenn große alte Bäume gefällt werden. Gleichzeitig kann man aber auch deutlich sehen, dass an vielen Stellen die Kiefern schon sehr vereinzelt stehen und sich in einem schlechten Zustand befinden. Darunter findet sich bisweilen nur strauchartiges Unterholz.

 

Der Naturschutzwart würde sich an manchen Stellen eine andere Vorgehensweise wünschen: Identifikation wertvoller Bäume (Eichen, Rotbuchen), die dann behutsam freigestellt werden, um nicht im nächsten heißen Sommer durch zu viel Sonne im Mitleidenschaft gezogen zu werden; gezielteres Entfernen von Bäumen, die nicht zur mitteleuropäischen Flora gehören, z.B. Roteichen und Robinien. Am östlichen Abfall zu den Schrebergärten sollten die Bäume eigentlich stehen bleiben, gerade dort stehen auch die interessanteren alten Exemplare. Bei dem Erhalt eines lichten Kiefernwaldes sind Zweifel erlaubt. Die Kiefern sind in keinem guten Zustand, und genau genommen gehören auch Kiefern nicht zur typischen natürlichen Vegetation auf Sandrasen. – Das Konzept der artenreichen lichten Kiefernwälder bringt zwar sogenannte Ökopunkte, doch der Klimawandel lässt den Kiefern auf den trockenen Sandrasen kaum eine Chance.

 

Die ersten Erfolge auf den Versuchsflächen des NABU Projektes Lebensader Oberrhein in der Schwetzinger Hardt zeigen auf, dass es tatsächlich in kurzer Zeit möglich ist, neue offene Sandflächen mit großem Artenreichtum zu schaffen.

 

Für Interessenten sei die folgende Publikation empfohlen:


Weiser, P. (2020): Erfolge des Projektes Lebensader Oberrhein in der Schwetzinger Hardt: Floristische und faunistische Beobachtungen am Saupferchbuckel und Franzosenbusch. – Carolinea 78:135-158

 

Auf diesen Seiten wird in der Zukunft auf jeden Fall über den Fortgang der Entwicklung auf der Brühlwegdüne berichtet werden.







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